Aufbruchstimmung in Schrozberg

Selten war eine Mitgliederversammlung so informativ und so unterhaltsam. Als Gast der Raiffeisenbank Schrozberg-Rot am See hat sich Prof. Dr. Bernd Nolte drängenden Fragen dieser Zeit gewidmet.

Von Birgit Trinkle, Hohenloher Tagblatt

Selten war eine Mitgliederversammlung so informativ und so unterhaltsam. Als Gast der Raiffeisenbank Schrozberg-Rot am See hat sich Prof. Dr. Bernd Nolte drängenden Fragen dieser Zeit gewidmet. 

Wohin geht die Reise in Zeiten der Unordnung?“ Wer stellt sich diese Frage nicht, wenn eine Krise von der nächsten abgelöst wird. Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Bernd Nolte hat sich auf Einladung der Raiffeisenbank Schrozberg-Rot am See bei deren Mitgliederversammlung in der Schrozberger Stadthalle an Antworten versucht – mit trockenem Humor und markigen Sprüchen.

Das Raiba-Team um die Vorstände Winfried Stahl und Thomas Haag konnte so nicht nur einen erhellenden, sondern auch einen unterhaltsamen Abend bieten. In einem ersten Themenblock ging’s um regelmäßig auftretende Pandemien, die von Nolte vor allem als alles verändernde globale Herausforderung und Innovationstreiber bezeichnet werden. Aber: „Gerade neuartige Krankheitserreger werden in einer global vernetzten Welt immer
gefährlicher.“ Dass Deutschland alles in allem sehr gut durch die jüngste Pandemie gekommen ist, hat Nolte ganz wertfrei aufgezeigt, aber auch vom schwer getroffenen
Mittelstand gesprochen. „Drei von vier kleineren und mittleren Unternehmen waren
von Ausfällen in der Lieferkette betroffen.“ Grundsätzlich stellte der Managementberater,
Buchautor und Wirtschaftswissenschaftler fest, dass Pandemien häufig zur Überstrapazierung nationaler Versorgungssystem führen. Solidarität und Geduld seien
daher unerlässlich.

Die nächsten Krisen

Und dann sind da die Kriege, die seither das Weltgeschehen bestimmen. „Macht-, System- und Ressourcenkriege infizieren die Welt“, so Nolte mit Blick auf derzeit 38 bewaffnete Konflikte und Kriege. Als Beispiel für einen Machtkrieg führt Nolte den Krieg zwischen Russland und der Ukraine an; in erster Linie gehe es um die Ausweitung der Macht und Einflusssphären einer der Kriegsparteien. „Russland hat aus dem letzten Loch gepfiffen“, so Noltes Blick auf die vergangenen Jahrzehnte, in denen der Stillstand dort innenpolitisch zum Problem geworden sei. Bei Religionskriegen denkt der Referent an den Konflikt zwischen Israel und der Hamas. Systemkriege hingegen, wie der zwischen China und dem Westen, seien keine bewaffneten Auseinandersetzungen, eher eine Art intensiver Wettstreit um das bessere politische, wirtschaftliche oder juristische System.

Engpässe unvermeidlich

All das führe unweigerlich zu Engpässen. Nolte spricht beim Warentransport von einer Kostensteigerung um 640 Prozent. Die Kosten für den Transport eines Standard-Containers von Shanghai nach Rotterdam stiegen von 2020 bis 2021 von rund 2000 auf 15 000 Dollar. Die Lieferengpässe im Einzelhandel lagen 2022
bei etwa 12 Monaten. Dieser Druck habe sich mittlerweile verringert,
aber noch immer stehe der Einzelhandel vor großen Engpässen. „Allein für die Bundesrepublik Deutschland beliefen sich die dadurch entstandenen Schäden auf rund 5 Prozent der Wertschöpfung.“

Enorme Fluchtbewegungen

Kriege und ihre Dominoeffekte führen demnach weltweit zu Ressourcenengpässen. Das setze sowohl die Industrie- als auch die Schwellenländer zunehmend unter Druck. Der globale Handel und das Wohlstandswachstum stockten. Und auch das mündete in Flucht, Vertreibung, Migration. Den Vereinten Nationen zufolge sind 2024 über 110 Millionen Menschen auf der Flucht; die Hauptursachen sind Kriege, Armut und Perspektivlosigkeit. Dass auch Zuwanderer eine Chance sind, davon ist Nolte überzeugt: Das schnell alternde Deutschland brauche langfristig viele Menschen, nicht zuletzt in der Pflege.

Inflation und Vermögensverzehr

Die gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Aspekte der jüngsten Krisen seien für alle spürbar. Eine der Folgen: Inflation. Der Euro verliert an Wert. Für Nolte hat das einen Vorteil – „die Verbilligung unserer Exporte“ –, aber eben auch die Folge, dass das Vermögen der Deutschen schrumpfe. Jeder dritte Deutsche verfüge aufgrund zu geringer Einkommen zu hoher Teilhabeansprüche und Ausgaben sowie durch Preissteigerungen über keinerlei Rücklagen. 17,3 Millionen Menschen waren 2022 von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Nolte: „Die Inflation hat das Wachstum enorm vergiftet.“ Zudem seien die Staatsschulden auf Rekordniveau.

„Drittelung der Gesellschaft“

Dass es sich in Deutschland vergleichsweise sehr gut leben lässt, davon ist der 1963 geborene Nolte überzeugt – mit Blick auf andere Länder, aber auch auf die Zahlen etwa des Jahres 1990. Die Zukunft sieht er freilich von einer Drittelung bestimmt: Das obere Drittel der Gesellschaft federe den Vermögensverzehr unter anderem durch  Unternehmensbeteiligungen ab, hier gelte es, etwa die Steuerflucht zu erschweren:
„Sonst funktioniert das System nicht.“ Die Mittelschicht rutsche etwas ab, wenn nicht klug
investiert werde. Das untere Drittel verschulde sich zunehmend und benötige staatliche Unterstützung. „Wir müssen als Land Überschuss erwirtschaften, um diese Menschen über Wasser zu halten“, so Nolte, „als Christen, als Humanisten, und weil es sonst
unerträgliche Verhältnisse gäbe.“ Nur so lasse sich nämlich der Zulauf bei den Extremen ebenso reduzieren wie Kriminalität. Überall, vor allem aber im Osten, sind die Deutschen zunehmend unzufrieden mit der Demokratie: Nolte: „Komplexe Probleme treffen – in der Selbstwahrnehmung – auf wenig Gestaltungsmöglichkeiten.“ Wenn dadurch ein Viertel der Menschen in extreme Ränder migriere, so Nolte, sei das „nicht der Untergang des Abendlands, wenn der Rest sich klar positioniert“.

Große Aufgaben stehen an

Mit Blick auf enorme Investitionen ins Verteidigungs- und Gesundheitssystem sowie die Straßeninfrastruktur, auf Generationengerechtigkeit, die Systemfrage und andere Herausforderungen nannte Nolte weitere Voraussetzungen für ein „funktionierendes
System“: Dass die jungen Leute (fremd-)sprachlich und technisch vorangebracht werden etwa. Für Nolte die beste Strategie ist nämlich, auf neue technische und medizinische
Lösungen zu setzen, auf neue Investitionschancen. „Wir müssen Produkte entwickeln,
die die Welt weiterbringen.“ Ein Wirtschaftswunder werde nicht durch Bevormundung
erreicht. Deutschland habe viel zu lange auf falsche Technologien gesetzt: da müsse man schleunigst umstellen, bestätigte Nolte in der abendfüllenden Veranstaltung
eine Aussage aus dem Publikum. Weniger zu arbeiten, sei keine Lösung: stattdessen müsse anders und besser gearbeitet werden. Für sein Publikum interessant war vor allem die Frage, wie man das Kapital arbeiten lässt, sprich wie am besten in Aktien investiert
wird. Auch die zunehmend schwierige Unternehmensnachfolge war Thema – und hier zeigte
sich Nolte ebenfalls überzeugt: Es gibt Lösungen.

V.l.n.r.: Vorstand Winfried Stahl, Prof. Dr. Bernd Nolte (4P Consulting), Vorstand Thomas Haag